Anjali Mudra / Namaste Mudra – Yoga mit den Fingern IV
Wohl kaum eine Mudra wird in Yogastunden so oft ausgeführt wie diese. Und weil diese Geste als Anjali Mudra oder auch Namaste (Mudra) so oft geübt wird, sie so selbstverständlich und präsent ist, wird sie oft nicht mehr hinterfragt. Das ist schade, denn hinter der Mudra steckt unglaublich viel.
Man findet die Mudra auch noch unter anderen Namen. Atmanjali Mudra findet man häufig. Und gerade in unserem christlichen Umfeld ist die Haltung als Gebetshaltung in häufiger Praxis. Sie ist offenbar sehr universell.
Schon alleine die Ausführung – die Hände vor dem Herzraum zusammenlegen – unterstützt die innere Sammlung. Wenn man dann vielleicht noch bewusst den Kopf bzw. die Stirn ganz leicht, Millimeter nur, den Händen zuneigt und sich den Raum zwischen Herzraum, Stirn und Händen vergegenwärtigt, dann kann das schon reichen in eine tiefe Empfindung zu kommen.
Die Geste, rechte und linke Seite kommen zusammen, ist alleine schon ein Symbol das Gegensätzliche zu vereinen. Das große Thema in vielen yogischen Situationen ist es immer die gegensätzlichen Kräfte zusammen zu bringen. Männlich – weiblich, Sonne – Mond, rational – emotional …
Im christlichen Kontext ist das Zusammenlegen der Hände ein Zeichen der inneren Konzentration, in der sich der Beter ganz auf Gott konzentriert.
In praktisch jedem Kontext, in dem die Gebetshaltung / Anjali / Namaste / Atmanjali Mudra eingenommen wird passt die Affirmation:
Voller Dankbarkeit lasse ich das Gute, was für mich vorhanden ist, zu.
Den volle Reichtum dieser so scheinbar einfachen Geste kann man sich vielleicht besser erschließen, wenn man in Yogageschichten um diese Mudra einsteigt. Eine Geschichte rankt sich um die Geburt Patanjalis, dem sagenhaften Autor der Yogasutren.
Patanjalis Mutter war eine wunderschöne Frau, die lange keine Kinder bekommen konnte. Sie betet täglich in ihrer Not und Verzweiflung zu Vishnu als Manifestation des Höchsten. Ihre Bitte um ein Kind verband sie mit der Öffnung der Hände zu einer Schale. Und sie gab ihre Hoffnung auf die Erhörung der Bitte nicht auf.
Zu gleicher Zeit sah Vishnu, dass es unter den Yogapraktizierenden keine Einigkeit über den richtigen Weg des Yoga gab. Viele Gruppen existierten und Uneinigkeit war weit verbreitet (… Parallelen zu den heutigen Zuständen im Yoga sind keineswegs zu leugnen). Und Vishnu fand, die tausendköpfige Weltenschlange Ananta-Shesha wäre die Richtige, wieder Einheitlichkeit unter die Yogis zu bringen.
Und als die Frau eines Tages wieder in ihrer Verzweiflung die Hände dem Himmel zuwandte, lies Vishnu ihr eine große Gnade zukommen. Er legte ihr ein Kind in die Hände. Dieses Kind war niemand anderes als Patanjali, der später die Yogasutras verfassen sollte. Er ist aber auch eine Verkörperung der Weltenschlange Ananta-Shesha. Und diese hatte wohl bei ihren Fall auf die Erde nicht genug Zeit gefunden, sich vollständig zu verwandeln. So kommt es, dass Patanjali den Oberkörper eines Menschen aber den Unterkörper der einer Schlange hatte. Seine Mutter liebte ihn trotz dieses Umstandes und zog ihn auf. Nur so kommen wir heute zu den Yogasutren, als deren Autor Patanjali zitiert wird.
Der Name Patanjali setzt sich aus dem Sanskritwort pat für Kind und anjali als Namen für die Geste seiner Mutter zusammen.
Nach dieser Geschichte ist Anjali Mudra das Gebet mit den ausgestreckten Händen, in die Gotte etwas hereinlegen kann. Es ist die Geste des unerschütterlichen Glaubens, dass das worum man bittet, auch kommen wird.
Wenn ich mit diesem Bild von Anjali Mudra arbeite, habe ich immer die Schere im Kopf, dass die Geschichte von den geöffneten Händen ausgeht – wir aber die geschlossene, aneinandergelegte Stellung der Hände so benennen. Aber ganz leicht wird aus der geschlossenen eine geöffnete Geste, wenn man die Arme etwas streckt und die Hände öffnet. Es lohnt hier ein wenig mit den Händen zu experimentieren.
Der zweite Namen in der Überschrift, Namaste Mudra ist kein Mythos, aber an eine reiche Tradition der Praxis geknüpft. In Yogakreisen ist Namaste der Gruß überhaupt geworden, der er in Indien und anderen asiatischen Ländern schon ist. Namaste als Gruß in der E-Mail einer Yogini oder eines Yogis. Namaste als Grußformel in einem Blogbeitrag. Namase zu Beginn einer Yogastunde oder auch am Ende.
Das Bild des Zusammenführens kann bei Namaste Mudra weit über die Zusammenlegung der Handflächen hinausgehen. Wie schon oben angedeutet. Yogische Praxis will die Gegensätze im Leben auflösen und all unsere Energie zusammenführen. Es geht um wahre Ausgeglichenheit von Körper und Geist. Man kann das Bild des Pendels benützen das nach rechts und links ausschlägt, gut – böse, hell – dunkel, schön – hässlich, warm – kalt. Da wo die Mitte ist, da kommt das Pendel zur Ruhe. Und die Hände legen sich dort zusammen, wo für den Yogi die Mitte ist. Vor dem Herzen.
Die Hände werden zusammengeführt als Bild diesem Gleichgewicht näher zu kommen. Namaste ist „Verehrung dir“ (namas = Verehrung). Und ganz poetisch ausgedrückt, wenn Namaste Mudra benutzt wird um jemanden zu grüßen oder zu verabschieden: „Ich ehre den göttlichen Geist in dir, den ich auch in mir ehre – und ich weiß, dass wir somit eins sind.“
Wie ich meine ein ganz schön langer Satz für eine Geste, die oft so beiläufig im Durchlauf etwa eines Sonnengrußes quasi „nebenher“ anfällt. Eine Mudra erhält ihren Wert in der Bewusstheit der Ausführung. Für mich ein Aufruf achtsamer zu sein und diese Beiläufigkeit so gut es geht und so oft wie möglich zu vermeiden.
Beiträge zum Thema Mudra im Alltag Leben Blog
Anjali Mudra – Mudra des Zusammenführens, der Sammlung, des Gebetes und des Grußes. Auch Atmanjali Mudra und Namaste (Mudra). [Dieser Beitrag]
Ganesha Mudra – Erweckt nicht nur die Liebe zu dir und deinen Mitmenschen. Bringt Weite ins Leben und deinen Brustraum.
Linga Mudra – Bei Erkältungskrankheiten, Förderung der Selbstheilungskräfte (Fieber), Stärkung des Immunsystems, Hilfe beim Abnehmen.
Kalesvara Mudra – Zentrierung, Erfahrung von Ruhe, bei Stresssituationen, macht die Gedanken klar.
Hallo Bernd,
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel. Ich wusste, die Bedeutung dieses Mudra nicht, obwohl ich die Energie in meine Hände fließt, das Gefühl, als ich diese Mudra mit Meditation kombiniert. Vielen Dank für die interessanten Informationen!
Mit freundlichen Grüßen,
Amalia
Hallo Bernd,
ich freue mich, dass ich heute Deinen Blog gefunden habe, als ich dabei war meine zweite Yogastunde vorzubereiten. Vielen Dank für die tollen Inspirationen und die breite der Themen. Hier komme ich bestimmt öfter vorbei. Hast Du auch einen Newsletter? Oder wie erfahre ich von neuen Artikeln?
(Falls Dich mein Blog in der Angabe bei der Website stört einfach rauslöschen, ansonsten würde ich mich auch über einen Backlink freuen, hat zwar nichts mit Yoga zu tun, aber in mir vereinbart sich im Moment Beides bzw. `Vieles.)
Ich hab das tatsächlich nie hinterfragt, sondern einfach immer nur mitgemacht. Habe letztens aber speziell darauf geachtet und muss sagen, dass es der Konzentration wirklich förderlich ist! Verrückt eigentlich
Mir ist auch schon aufgefallen, dass man sich mit der „Gebetshaltung“ besser fokussieren kann, wenn man z.B. meditiert. Warum das so ist, hab ich aber bisher auch noch nicht hinterfragt. Dank deines tollen Beitrag darüber, bin ich da jetzt etwas schlauer 🙂 Merci
Zu den Vergleichen Sonne/Mond, Mann/Frau fällt mir noch ein: Im deutschen heißt es DIE Sonne und DER Mond, währen des in den Romanischen Sprachen DER Sonne und DIE Mond ist (le soleil und la lune). Im Englischen gibt es zwar eigentlich keine Artikel bekanntlich, aber so weit ich weiß spricht man auch hier vom Mond als She und von der Sonne als He (also zumindest in poetischen Texten, sonst weiß ich nicht).
Hab mich schon immer gefragt was es mit dem Händefalten auf sich hat. Werd ich in Zukunft auch mal öfters praktizieren 😉 Greetz
Dieses Thema hat mich schon immer interessiert…
Blog verfolge ich so gut wie immer. Sehr interessant 😀
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