Über Häppchen-Gedanken
Claudia vom digital diary hat sich über meine kleine Wortlistenmeditation geärgert. Interessant genug um mehr als nur einen Kommentar darunter zu setzen.
Weniger wegen der Wortlisten-Meditation selber. Das ist nur eine Möglichkeit sich Dingen zu nähern, mit der ich selbst hin und wieder gerne experimentiere. Und so sehe ich sie auch im Zusammenhang mit diesem Blog.
Allerdings sehe ich auch, wie solche Listen wirken können, wenn man ihnen sozusagen ohne Vorbereitung und entsprechender Grundgestimmtheit nähert. Dann verlieren diese Begriffe tatsächlich jeglichen Sinn und wirken – zumindest teilweise – bestenfalls kitschig.
Am Anfang dieses Blogs habe ich öfter listenartige Aufzählungen und mehr oder weniger sinnfreie Aneinanderreihungen von Tipps gegeben. Nicht das ich Tipps vom Kaliber „Grog hilft nicht wirklich gegen Erkältungen“ plötzlich keinen Sinn mehr abgewinnen könnte. Sinnlos werden solche Tipps erst, wenn sie isoliert und ohne Bezug für sich alleine stehen. Eben bestenfalls Schlagzeilen für Suchmaschinen aber keine echten Inspirationen, weil sie wohl nur als Schlagzeile, nicht aber als Beginn für weiteres Nachdenken wahrgenommen werden.
Kurze Zitate und kleine Einwürfe wird es auf diesem Blog auch weiterhin geben, aber der Schwerpunkt liegt immer mehr bei kleineren Serien wie im Moment über Hindernisse beim Yoga oder Yoga-Podcasts, die die Möglichkeit geben etwas umfassender in ein Thema einzusteigen. Das sind immer noch in gewisser Weise Häppchen-Gedanken (ich mag diese Begriffsbildung sehr) bei denen ich mir aber erhoffe, dass ein ganze Bissen daraus wird.
Was mich bei Claudias Kommentar am meisten beschäftigt hat, ist der Verdacht, dass die Bruchstückchen, Gedankensplitter und Verschlagzeilung von Themen dazu führen könnte, dass sich die Wahrnehmung von Wirklichkeit in die Beliebigkeit verflüchtigt. Wenn ich so mein eigenes Feed betrachte, dann muß ich sagen, dass ich diese Gefahr auch sehe. Weniger wegen einzelner Beiträge in meinem oder in irgend einem Blog, sondern weil uns immer mehr Information erreicht bzw. um unsere Aufmerksamkeit buhlt. Das gilt nicht nur für Blogs und das Internet allgemein sondern für alles, was an Informationen über uns hereinbricht. Hier erreicht uns wirklich oft genug nur noch das, was uns über die Schlagzeile animiert weiter hin zu schauen. Es ist nicht mehr alles erfassbar und die Neigung ist groß nur noch das zu lesen, was kurz und knapp abgefasst ist. Mit unvermeidlichem Verlust an Substanz?
Ich glaube nicht, dass sich die persönliche Wirklichkeit grundlegend durch die Verschlagzeilung und die Info-Häppchen verändert. Denn nur wenn man selber in die Tiefe geht ändert sich etwas in einem. Großmeister der Häppchen sind ausgerechnet die alten Yoga-Schriften. Die Yogasutren des Patanjali etwa bestehen aus gerade mal 196 (195) Aphorismen, die man locker auf 3 Zeitungsseiten bekommt und noch Platz für eine Einleitung und Schlussbetrachtung hätte. Nicht die Länge eines Textes entscheidet, sondern die Tiefe der Beschäftigung damit.
Nicht jeder Text ist es wert, darüber längere Zeit nachzudenken oder gar zu meditieren. Aber ich bin davon überzeugt, dass nur Texte die dazu anregen auch echte Wirkung erzeugen. Der Rest bleibt an der Oberfläche und ist tatsächlich beliebig – und darum ohne tiefe Wirkung.
fotos: judigrafie / photocase.de; S. Hofschlaeger / pixelio.de
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Hi Claudia, ganz herzlichen Dank!
Mir ist beim Lesen deines Beitrages mal wieder bewusst geworden wie wichtig der richtige Zeitpunkt ist. Für eine Übung, aber auch für ein richtiges Wort.
Wenn man eine Übung vorstellt wird sie ohne Herleitung in die „richtige“ Grundstimmung sicher bei den meisten Menschen eher Unverständnis hervorrufen. Aus dem Grund dürften „Entspannungsblogs“ oder andere Übungssammlungen mit einer Aneinanderreihung von Übungen kaum der Renner werden. Ohne den Menschen da abzuholen, wo er ist und ihn in die Übung zu führen, wird das nichts.
Mich führt dieses Klarwerden in dieser Diskussion dazu verstärkt darüber nachzudenken, wie ich auch in Yogastunden – gerade bereite ich welche vor, die Ferien sind bald zuende – dieses Erkennen besser einbauen kann. Faszinierend wie sich aus einer solchen Diskussion so etwas wie eine didaktische Schlussfolgerung entwickelt 🙂
Und jetzt lasse ich mich mal auf deine Meditation ein.
Viele Grüße, Bernd
Da fällt mir ein: ich hab mich auch mal an einer „Meditation“ versucht:
http://claudia-klinger.de/schweigen.htm
@Gaba,
also mit deiner Argumentation könnte man sich die ganze Kommentarfunktion sparen! Wenn ich nicht mehr kritisieren darf, was ich lese, sondern nur noch applaudieren – was bleibt dann noch als „Sinn der Sache“??
@Bernd,
wunderbar, wie Du das Thema aufgenommen hast – ich freue mich! Denn du konntest nachvollziehen, was mich da bewegt hat, nämlich der tägliche Information-Overflow, der durchweg erstmal per „Häppchen“ daher kommt, was mir oft ein Gefühl von „zersplittertem Dasein“ vermittelt. Wortlisten erlebe ich dann als Extrem dieser Verkürzungskunst – und das dann auch noch in einem meditativ gemeinten Zusammenhang. Die Yoga-Sutren und andere Zitate empfinde ich nicht so, denn meist ist es ein einziger tiefer Gedanke, ein kompletter Satz oder Absatz mit einiger Substanz, über die man nachsinnen kann: der KOPF wird heraus gefordert, nicht bloß das Gefühl angesprochen.
Das ist sogar ein Punkt, der mir jetzt erst richtig bewusst wird: offensichtlich mag ich es nicht, wenn versucht wird (z.B. durch so eine Wortliste und den Hinweis, sie auf sich wirken zu lassen), meine Stimmung GRUNDLOS zu beeinflussen. In einem Seminar oder Workshop, also in einem mehrdimensional erlebten und sorgfältig inszenierten Kontext, kann ich das gut ab, jedoch nicht „einfach so“: nun versenke dich mal! Denn wenn ich inmitten einer Alltagsstimmung, in der so manches Erleben gerade ganz bestimmte Gefühle hervor ruft, aufgefordert werde, über Meditation, Gelassenheit, gar „Leben im Augenblick“ nachzusinnen, dann erscheint mir das quasi als eine Art „Angriff“ auf mein reales Befinden, das ja etwas mit der Welt zu tun hat, in der ich gerade agiere. Noch dazu mit (für mich!) untauglichen Mitteln, denn wenn ich einfach nur Wortlisten lese, komme ich dadurch NICHT etwa in die benannten Gefühlszustände – im Gegenteil! Da fehlt mir schlicht die Herleitung, der GRUND, der über den Text vermittelt wird, wie etwa in einer kleinen ZEN-Geschichte. Es berührt mich ähnlich wie das Mantra-artig benutzte allzu häufige „Ich liebe dich“ mancher Paare, die glauben, dadurch mehr Liebe in ihre Beziehung zu bringen – oft mit gegenteiligem Erfolg.
Lieber Bernd, dein Blog ist klasse und auch dieser Artikel (inkl. der von mir kritisierten Wortliste) vermittelt das, was ein Yogablog im besten Sinne ausmacht: Bewusstwerdung!
Danke dafür!
Claudia
🙂
Ich glaube ich bekäme Entzugserescheinungen mit einer „Informations-Heilfastenkur“ 🙂
Da stelle ich mir meinen „Speiseplan“ doch lieber selbst zusammen und freue mich weiterhin auf deine „Häppchen“ oder auch „Happen“.
Lieben Gruß zurück und noch einen schönen Abend
Christa
Hi Christa,
eine Informationsdiät ist eine gute Idee, könnte man glatt eine echte Übung draus machen.
Aber wie bei anderen Diäten kommt es immer darauf an, dass man ein anderes Verhältnis zu den Dinge bekommt. An die Menge von möglicher Information selber können wir nichts ändern. Wir müssen lernen damit umzugehen. Medienkompetenz erwerben, heißt das wohl bei den Pädagogen. Dazu kann auch mal eine Informations-Heilfastenkur gehören. Aber ich glaube nicht, dass darin die echte Lösung liegt 🙂
Liebe Grüße, Bernd
Und hier kommt die vierte Meinung 😉
Ich fühle mich, besonders seit der Zeit, wo ich mich im Netz bewege, mit Informationen überfüttert. Anfangs stopfte ich alles in mich hinein und hatte daran schwer zu kauen. Deshalb habe ich mir eine Informations-Diät verordnet.
Konkret heißt das, ich nehme nur noch Informationen auf, die gut zubereitet sind. Sind sie, wie in deinem Blog mal als Häppchen oder längerer Beitrag, auch noch geschmackvoll aufbereitet, dann schmeckts mir und ich „esse“ mit Genuss. 😉
Christa
Liebe Gaba,
ich habe das gar nicht so sehr als negative Kritik aufgefasst. Aber als willkommener Aufhänger das eigene Bloggen mal wieder zu hinterfragen. Solche Standortbestimmungen finde ich durchaus wohltuend und immer wieder wichtig.
Es wäre seltsam, wenn vor allem meditative Übungen bei jedem gleich ankämen. Es gibt immer wieder die Erfahrung, dass Übungen bei denen bestimmte Menschen einfach dahinschmelzen von anderen völlig abgelehnt werden. Ich denke diese Polarisierung sagt viel darüber aus, wie wir Menschen funktionieren und dass wir alle unseren ureigensten Erfahrungshorizont mit- und in eine Übung hineinbringen.
Ich finde, dass macht das Leben sehr viel bunter und anregender 🙂
Liebe Grüße, Bernd
Lieber Bernd, zwei Kommentierer, drei Meinungen 😉
Ich finde so eine „Wortliste“ ab und zu ganz positiv und bin der festen Überzeugung, dass diese Liste(mindestens)einer Deiner Leser genau im für ihn passenden und richtigen Moment liest und dadurch zum Denken angeregt wird.
Ein Weblog ist kein „Wunschprogramm“ und nach meiner Meinung am ehesten vergleichbar mit einem bunten Magazin. Auch in mancher Zeitung betrifft mich der Inhalt manchmal mehr und manchmal eben weniger. Aus diesem Grund ist nach meiner Ansicht an dieser Stelle Kritik in keiner Weise angebracht.
Ich wünsche Dir eine sonnige Woche und freue mich auf viele interessante Beiträge.
Alles Liebe, Gaba