Vegetarier werden – mühelos?

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foto: Gabi Schoenemann / pixelio.de

Es ist spannend. Vor gut anderhalb Jahren habe ich gefragt: Merkt man, wenn man Vegetarier wird? Heute darf ich sagen, dass der Weg weiter gegangen ist. Ich bin dabei geblieben.

Dabei habe ich nach wie vor das Gefühl, dass dieser Weg nahezu von alleine geht. Als ich vor Jahren mit der Yogapraxis begonnen hatte, habe ich immer wieder gelesen und auch von Lehrern gehört, dass man sich – lässt man sich auf den Yogaweg ein – in dieser Richtung entwickelt. Für mich war das immer ergebnisoffen. Mit dem Resultat, dass Lehrer und die Schriften Recht hatten.

Es ist durchaus passiert, dass ich – vor allem auf Reisen oder auch bei bestimmten Familienfeiern – durchaus schon mal auch Gerichte mit Fleisch gegessen habe. Das ist kein Beinbruch. Vielleicht bin ich zu sehr Biologe und sehe einfach, dass kein (höherer) Organismus existieren kann, ohne andere Organismen zu verdrängen. D.h. in meiner eigenen Existenz liegt schon begründet, dass ich einen bestimmten „Raum“ einnehme, den andere nicht mehr besetzten können. Ahimsa als sinnvolle Lebenseinstellung und eine der Grundlagen des Yoga und aller für mich akzeptablen Lebensweisen überhaupt zum Trotz. Es gibt keine höhere Lebensform die nicht von „anderen“ Organismen leben würde. Insoweit habe ich keine moralischen Skrupel Fleisch zu essen. Jedenfalls wenn es nur darum ginge, dass ein Tier für meine Ernährung gestorben wäre.

Es ist für mich auch kein Widerspruch die Mitgeschöpflichkeit eines Haustieres anzuerkennen – und es auch als Essen zu akzeptieren.

Und trotzdem gehe ich in der Praxis davon ab. Ich möchte kein Fleisch mehr essen. Weil ich mit den Erscheinungen der Massentierhaltung nicht einverstanden bin, weil ich sehe, dass es einfach ökologisch sinnvoller ist. Weil ich merke, dass es mir einfach besser bekommt, auf Fleisch zu verzichten.

Vegetarisches Menü

foto: Michaela Schmidt-Meier / pixelio.de

Wo ich nicht hin möchte ist aus dem Vegetarismus eine dogmatische Lebenseinstellung zu machen. Mir gehen die im Netz massenweise zu findenden moralisierenden und missionsbedachten Beiträge z.T. mächtig auf den Zeiger. Das geht mir zu häufig in eine Richtung, die mir gar nicht behagt und die stark polarisiert. Die Guten (Vegetarier) stehen mal wieder gegen die Bösen (Fleischesser). Nach meinem eigenen Wertesystem brauche ich nicht lange zu überlegen, wo die bessern Argumente sind. Die sind eindeutig bei den Vegetariern. Aber ich habe das Gefühl, in diesem Gut/Böse-Spiel schleicht sich eine Qualität ein, die mit Schuld zu tun hat.

Wir hatten gestern eine Chorprobe der Pollogne Singers mit anschließenden gemütlichen Beisammensein. Es war erstaunlich, wie viele der Menschen sich dort am Aschermittwochabend Gedanken über Fasten machten. Fasten als Verzicht auf Fleisch war für die meisten ein Thema. Nicht das es alle auch machen wollten. Für einige ist es auch völlig unvorstellbar. Aber es war ein starkes Thema, das einfach im Raum stand.

Ein zweites Erlebnis in dieser Richtung hatte ich vor einigen Wochen bei einer Schulung mit einer Gruppe, die ich bislang noch nicht kannte. Das Essen im Schulungshaus war ausgezeichnet, aus der Region, frisch zubereitet und einfach lecker. Störend war nur, dass ich als einziger kein Fleisch gegessen habe und das Gefühl hatte, mich deswegen rechtfertigen zu müssen. In meinem „normalen“ Umfeld habe ich das nicht oder nur ganz selten. Man kennt mich oder ich bin mit yogisch bzw. überhaupt spirtuell angehauchten Menschen zusammen. Da ist das kein großes Thema. Hier hatte ich das Gefühl, dass die Verweigerung von Fleisch ein Stück Provokation war.

Mir hat das wieder gezeigt, wie tief die Ernährungsgewohnheiten in uns verankert sind. Das Gefühl, dass hier vielleicht etwas nicht stimmen mag, verunsichert tief. Und aus einer Verunsicherung heraus etwas entscheiden ist kein guter Rat. Es trägt nicht oder ist nicht wirklich authentisch. Man muss sich verbiegen und in Formen gehen, die man eigentlich gar nicht möchte. Zumal die Form der Ernährung nur ein einziger Aspekt des Lebens ist. Ein Aspekt, der viel über die Qualität des Lebens aussagt. Und ich möchte mich nicht den Rest meines Lebens mit der moralischen Tragweite meines Essens auseinander setzten. Zu meinem Leben gehört es jetzt, vegetarisch zu leben. Da bin ich hingekommen, weil ich mein Leben bewusst gestalten möchte, yogisch und immer wieder achtsam – ja, auch ohne große Mühe. Über diese Haltung bin ich zu meiner jetzigen Ernährung gekommen und werde nicht ausschließen, dass ich auch einmal ein Stück Fleisch essen werde. In großer Achtung vor meinem Mitgeschöpf, dass mir mein Leben ermöglicht und auch in großer Achtung vor anderen, die eben andere Lebensmodelle bevorzugen.

4 replies on “Vegetarier werden – mühelos?”

  1. Stefan on

    Hallo,

    interessant, diesen Bericht zu lesen. Ich beobachte nun schon seit einiger Zeit, dass in meinem Umfeld mehr und mehr vegetarier „aufpoppen“. Interessant finde ich, dass etwa in Kantinen das vegetarische Angebot immer noch stiefmütterlich behandelt wird und das einzige Angebot sich von Tag zu Tag oft gleicht.
    Interessanterweise ist mir hingegen bei Geschäftsessen aufgefallen, dass sich Geschäftspartner eher interessiert zeigen und diese Entscheidung akzeptieren. Weitgehend unbekannt ist beipsielsweise acuh, dass Apple-Chef Steve Jobs vegan lebte. Bis Vegetariertum jedoch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wird es noch ein wenig dauern.

  2. Bei mir ist die Entwicklung zum Vegetarier ganz von allein gegangen. Meine Freundin hat mit angefangen und hat mich im schleichenden Prozess gleich mit bekehrt. Als ich gemerkt habe, wie gut es mir tut habe ich dann auch beim „Solo“-Essen auf Burger & Co. verzichtet.

    Und als ich ein halbes Jahr lang kein Fleisch mehr gegessen hatte, habe ich gemerkt, dass ich plötzlich auch Vegetarier war. Das war vor zwei Jahren. Jetzt hat sich meine Freundin vorgenommen Veganerin zu werden. Mal schauen, ob es sich diesmal bei mir auch so schleichend einstellt.

    Auf jeden Fall danke für deinen Bericht!

  3. Bernd on

    Hallo Christine,
    danke für dein Statement. Auch wenn viele Argumente in deiner Verlinkung durchaus nicht meinen Ansichten entspricht – wir kommen letztlich zum selben Ergebnis. Es ist sinnvoll vegetarisch zu essen 🙂

    Ich wünsche mir nur, dass die Argumente ehrlich bleiben und dass das immerwährende Schuldigsprechen bei diesem Thema aufhört – es bewirkt nichts und nützt nur dem Vegetarier der sich so zum besseren Menschen erklärt. Aber wollen wir das? Als Bessermenschen auf die armen Tieresser herabsehen?

    Wir sind als Menschen Organismen, die von anderen Organismen leben. Wenn ich Nahrung benötigte im Sinne von Hunger leiden, würde ich auch Fleisch essen – ganz selbstverständlich. Mitteleuropa und der ganze Norden wären vom Menschen nicht besiedelbar gewesen, hätte er nicht auch Fleisch gegessen. Erst unsere jetzige Gesellschaft und unsere Warenwirtschaft ermöglicht es uns überhaupt vegetarisch zu essen. Strenge vegane Ernährung, die nicht ernste gesundheitliche Schäden nach sich zieht, ist überhaupt erst möglich, weil wir praktisch alles an modernen Ressourcen nutzen können. Totschlagargumente wie Schlachthöfe = Schlachtfelder sind darum überhaupt nicht angebracht. Es gibt gute – sehr gute! – Argumente, warum Mega-Schlachthöfe, Massentierhaltung und alles, was damit zusammen hängt tatsächlich unmenschlich sind. Und es gibt in meinen Augen auch einen ethischen Rahmen, den wir in Bezug auf den Umgang mit Haustieren schon lange verlassen haben – auch bei denen, die wir nicht essen!

    Den Fleischesser aber direkt oder indirekt als moralisch minderwertig anzuprangern, weil er ja schlecht mit seinen Mitgeschöpfen umgeht, ist nicht der richtige Weg. Jemanden schuldig zu sprechen hat noch selten eine Verhaltensänderung gleich welcher Art erzeugt.

    Viele Grüße

    Bernd

  4. Mich hat es bei meiner Recherche hierher verschlagen – mit der Zeit merkt man nur noch an den anderen Nichtvegetariern, dass man Vegetarier ist ;-):

    bei der Gelegenheit hinterlasse ich hier noch ein Statment zum vegetariersein:

    Mit der Zeit – je länger man Vegetarier ist, desto weniger will man akzeptieren, dass die meisten Fleischkonsumenten oft weniger feinfühlig und tolerant sind als man sich wünschen würde.

    Es ist am Anfang zunächst der Widerwille Fleisch zu essen, weil wir die Haltung der Tiere einfach nicht “menschenwürdig” haben und die Haltung immer mehr pervertiert.
    Dazu kommt natürlich der Prozess des Schlachtens ansich. Mit der Zeit wandelt sich die Auffassung immer mehr zu einer echten und tief empfundenen Geisteshaltung.

    Ich habe das mal versucht in Worte zu fassen und da ein Bild mehr als 1000 Worte sagt,
    habe ich als Künstlerin versucht das bildlich darzustellen. Die Form des Comcics macht das ganze vielleicht zugänglicher siehe:

    ++++++++++++ http://www.mausebaeren.com/veggie.html +++++++++++++

    Falls man eine Erklärung braucht – und das ist immer wieder nötig, kann man das wohl genauso weitergeben.

    Also nutzt diesen Link, wenn Euch selbst die Worte fehlen.

    Viele Grüße,
    Christine

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