Die Vedantaphilosophie – in einer einzigen Geschichte

rotkehlchenZwei Vögel mit goldenem Gefieder saßen auf demselben Baum: der eine hoch oben, ruhig, erhaben, in seine Glorie versunken; der andere untern, ruhelos die Früchte des Baumes verzehrend, bald süße, bald bittere. Einmal aß er eine ungewöhnlich bittere Frucht; da hielt er inne und schaute hinauf zu dem königlichen Vogel über ihm. Doch bald vergaß er den anderen Vogel und aß weiter von den Früchten des Baumes wie zuvor. Wieder aß er eine bittere Frucht, und diesmal hüpfte er aufwärts, einige Zweige näher an den Vogel auf dem Wipfel heran. Dies ereignete sich viele Male, bis zuletzt der untere Vogel den Platz des höheren erreichte und sich in ihm verlor.
Plötzlich erkannte er, dass es niemals zwei Vögel gegeben hatte, sondern dass er die ganz Zeit jener obere Vogel gewesen war, erhaben und in seine eigene Glorie versunken.

Erzählt von Swami Vivekananda und in der 23. Woche 2008 veröffentlicht von Rudolf Fuchs, Yogaschule Stuttgart.

foto: Peashooter / pixelio.de

3 replies on “Die Vedantaphilosophie – in einer einzigen Geschichte”

  1. Vielen Dank, Bernd, für die Erklärung. Das kann ich nachvollziehen. Eine unangenehme Situation möchte man beenden, weil sie einem nicht gut tut. Man ändert seine Gewohnheiten oder seine Einstellung, um diese Situation nicht noch einmal zu erfahren. Wenn man dabei nicht versucht sämtlichen unangehmen Erfahrungen aus dem Weg zu gehen und nichts mehr tut ist das wohl der falsche Ansatz. Aber wie du schon sagtest, die Sehnsucht auf den Wipfel zu kommen, erleichtert einen beschwerlichen Weg. Ohne Fleiß kein Preis.

  2. Hallo Klaudia, auch ich bin kein Kenner des Vedanta. Aber das Motiv, dass alle Erkenntnis, alles Gute, schon „immer“ in einem angelegt sind, gibt es in vielen Vorstellungen. Weil wir das so gut in uns angelegte nicht erkennen (können), erfahren wir Leid und überhaupt alles Negative.

    Es gibt viele Begriffe die diese Erkenntnis versuchen auszudrücken: Erleuchtung erlangen, Einheit mit der Leere, Einheit mit Brahman, Christusbewusstsein, Samadhi. Auch der Yogaweg will diese Erkenntnis vermitteln und in die Ruhe führen bei der der „Sehende in seiner Wesensidentität ruht“. Und da ist dann – um bei der Geschichte zu bleiben – der obere Vogel ganz klar sichtbar.

    Für die alten Yogis ist die Erkenntnis, dass man eben normalerweise nicht im Zustand der Erleuchtung lebt, ganz klar ein Zeichen von Leid. Und offenbar kommt man nach diesen Vorstellungen wirklich nur über die leidvollen Erfahrungen dem Ideal der Erkenntnis näher.

    Ob das immer so ist? Da bin ich nicht so sicher. Ich denke aber, dass es leidvolle Erfahrungen sind, die einem danach streben lassen in die Ruhe / Erleuchtung, oder wie immer man es nennen will, zu kommen. Kein Mensch begibt sich freiwillig auf einen beschwerlichen Weg, wenn es keinen kräftigen Anschub gibt. Es gehört eine Sehnsucht dazu, nach oben auf den Wipfel zu kommen. Und diese Sehnsucht entwickelt sich nicht aus der tiefen Zufriedenheit, die ja da sein müsste, wenn alles in Ordnung wäre.
    Aber wenn dieser grundsätzliche Weg begonnen ist, kann wirklich jede Erfahrung auf dem Weg helfen.

    Viele Grüße

    Bernd

  3. Hallo Bernd,

    eine schöne Geschichte. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich sie verstehe. Die Tatsache, das es immer der selbe Vogel war, bedeutet, dass man durch schlechte Erfahrungen vorankommt, erhaben und in Glorie versunken wird? Treiben einen schlechte Erfahrungen voran?
    Ich kenne mich mit Vedantaphilosophie gar nicht aus und höre es auch heute zum ersten Mal.

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