Ich habe Freunde. Oder: Sorgen über ein großes Fest
Ich habe Freunde.
Seit kurzem sogar sehr, sehr viele. Trete ich in eine beliebige Community ein, dann vermehren die sich geradezu rasant. In einer bestimmten hatte ich nach der Registrierung innerhalb eines halben Tages gleich drei. Davon einer, der Freund praktisch jeden registrierten Nutzers ist. Das ist klasse, der hat bestimmt 700 Freunde und ist auch mein Freund. Natürlich habe ich mich gefreut. Meine Freunde mag ich nämlich sehr. Jeder, der gefragt hat, ist jetzt mein Freund.
Zwei Probleme machen mir gerade Sorgen. Eines davon ist – ich weiß gar nicht, wie viele Freunde ich jetzt eigentlich habe. Das macht mich unsicher auch weil ich nicht weiß, wie die meisten meiner Freunde aussehen.
So wie die meisten Avatare die sie führen jedenfalls nicht. Wenn ich so über die Straße gehe könnte ja fast jeder mein Freund sein. Also, diese Sternschnuppe, mit der ich mich in der XY-Community so gut ausgetauscht habe, naja, schon fast ein wenig geflirtet (mein Schatz möge es mir verzeihen, aber es war rein platonisch, ehrlich). Wenn ich jetzt so in der Bahn rumsitze, könnte sie ja mir gegenüber sitzen, ohne dass ich sie kenne. Ein Gesicht oder eine Adresse kenne ich von ihr nicht. Wohl aber ein gutes Stück ihrer Lebensgeschichte und was ihr Nochehemann, dieses gefühllose Schwein, ihr so alles angetan hat. Vielleicht kenne ich den ja auch? Ohne es zu wissen habe ich vielleicht mit diesem Erzgauner kürzlich ein Kölsch getrunken. Also der, mit dem ich in der Kneipe war, trennt sich gerade von seiner Holden. Und über sie hat er sich auch nicht gerade freundlich geäußert.
Also, ich bin verunsichert. Die Zahl und Identität meiner Freunde macht mir immer mehr zu schaffen.
In einigen Communities kann man Rundschreiben an seine Freunde schicken. Der gute Freund mit den 700 anderen Freunden tut das jedenfalls regelmäßig. Finde ich nett, wie er mich immer informiert, was es in seinem Geschäft gerade Neues gibt. Vielleicht sollte ich ihm auch mal schreiben, traue mich aber nicht so richtig. Mit 700 Freunden hat man sicher viel zu tun.
Und damit komme ich gleich zu meiner zweiten großen Sorge. Also in relativ naher Zukunft feiere ich ein großes Fest. Natürlich im Sommer. Der Garten wird mit einem Zelt überdacht, ein Grill wird angeschmissen und vielleicht kommen noch ein paar Leute, die etwas Musik machen. Beim letzten Mal waren es irgendwelche afrikanische Trommeln. Was mache ich jetzt mit meinen neuen Freunden? Bei den alten Freunden, also die, die ich wie man so landläufig sagt, offline kennen gelernt habe, ist das sehr klar. Die kriegen eine Einladung, bringen einen Kartoffelsalat oder wie Birgit diese raffinierten vegetarischen Bratlinge mit, die sogar den Nichtvegetariern immer so gut schmecken. Und dann werden wir quatschen, leckeren Rotwein oder bei warmen Wetter fast noch besser Kölsch trinken, bis die Sonne aufgeht.
Bei Heike und Gerd habe ich kürzlich beim Umzug geholfen. Das tut man unter Freunden so. Ich kann nur hoffen, dass meine Internetfreunde nicht so oft umziehen, wie meine Offlinefreunde. Natürlich – hoffe ich jedenfalls – werden meine Internetfreunde die weiter als vielleicht 200 km weg wohnen verstehen, dass ich nicht bei jeden Wohnungswechsel den Kistenschlepper geben kann.
Also ich glaube fast, dass ich meinen Internetfreunden nichts von dem Offlinefest erzählen werde. Was ist wenn der 700freundeFreund auf die Idee käme, alle seine Freunde mitzubringen? Dann reicht ja womöglich der Kartoffelsalat nicht oder ich bekäme (Katastrophe!) nix mehr von den birgitschen Bratlingen ab.
Aber wenn ich den Onlinefreunden nicht von meinem Fest erzähle, hintergehe ich sie ja. Das tut man nicht unter Freunden.
Dann wären das ja plötzlich nicht mehr alle meine Freunde.
Ich bin verwirrt!
Pingback:Links am Sonntag - Bandscheiben-Blog
Hallo Bernd,
na da will ich dir mal auf diesem Weg nach langer Zeit liebe Grüße senden. Du siehst „Freunde“ vergisst man nicht, auch nach langer Zeit nicht.
Ich persönlich hab auch Freunde aus dem Web, die ich bis jetzt noch nicht persönlich kennengelernt hab.
Was aber in dem ein oder anderen Falle bestimt noch nachgeholt wird. Im Übrigen halte ich mich dann an die „Ignorieren“ Funktion. Man muss ja nicht jeden Trend nachgehen.
„Ein Fremder ist nur ein Fruend, den du noch nicht kennst“ Irisches Sprichwort.
In diesem Sinne ein Helau nach Kölle
und achtsame Grüße
Lothar
Es mag schon sein, dass man auch im Netz Freunde hat die man als Freunde bezeichnen kann. Aber wenn ich dann lese, dass sich dort über 700 Leute auf der Liste befinden, dann muss i sagen, dann kann ich das nicht mehr als Freunde bezeichnen. Ich möchte aber nicht damit sagen, dass es gar keine Freundschaften im Netz gibt. Solche habe ich auch und es klappt ganz gut und ich muss sagen, auch wenn ich die Leute noch nicht gesehen habe finde ich das nicht schlimm und mag sie trotzdem. Manche davon werde ich wahrscheinlich nie sehen und sie sind trotzdem meine Freunde.
Moin zentao, obwohl ich die Wortwahl „Freund“ für Internetkontakte ziemlich verfehlt halte, so weiß ich auch die beiläufigen Kontakte über das Netz durchaus zu schätzen. Bis hin zu erfolgreichen beruflichen Kontakten funktionieren diese Netzwerke durchaus und ich denke ganz reale soziale Netzwerke werden in Zukunft auch über solche Netze laufen.
Was mich stört und zu diesem Beitrag animiert hat, ist es, wenn man solche Netzkontakte mit dem Terminus „Freund“ bezeichnet. Hier bin ich ausgesprochen empfindlich, weil das Gut Freundschaft für mich eine hohe Bedeutung hat und in dieser inflationären Menge seine Sinn nicht ausfüllen kann.
Viele Grüße
Bernd
Ja das ist ein Problem, darum bin ich bei sehr wenigen So comunitis und da habe ich nur“ Freunde“ ??!! aus meinem Blog, auch die kenne ich nur ein bisschen, so vôn den Kommentaren. Deine Gedanken zu diesem Thema sind höchst Aktuell.
Liebe Grüsse zentao