Vor dem Burnout … die Notbremse ist gezogen
„Ein Gramm Praxis ist mehr wert als tausend Tonnen Theorie.“ Der Satz wird unter anderem Swami Sivananda zugeschrieben. Und darauf angesprochen warum er denn so viele Bücher geschrieben hätte, soll er geantwortet haben: „Manchen Menschen brauchen eben tausend Tonnen Theorie um zu einem Gramm Praxis zu kommen.“
Ob die Anekdote tatsächlich von Sivananda stammt konnte ich auf die Schnelle nicht recherchieren. Finde ich jetzt auch nicht wesentlich, sie wäre ihm sicher zuzutrauen. Jedenfalls komme ich mir im Moment so vor, als benötige ich 10.000e Tonnen von Theorie, bis ich in die Praxis komme. Im Moment sitze ich unter anderem an meiner Abschlussarbeit zum Yogalehrer nach den Richtlinien des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Deutschland (BDY). Das ist erst einmal ein Befreiungsschlag. Rechne ich die Ausbildung als Entspannungspädagoge hinzu, ist das der Abschluss einer dann 6 jährigen Ausbildungsfolge bei meiner Lehrerin Christel Adolphi. Nicht, dass ich mit der Ausbildung unzufrieden bin. Nein, es ist an der Zeit das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrerin zu ändern. Sozusagen die Ebene zu wechseln. In einem anderen Verhältnis zum Lehrer weiter am Yoga zu arbeiten. Da freue ich mich schon drauf.
In den letzten Monaten – was auch einen Teil der Ruhe auf diesem Blog erklärt – war ich extrem gefordert. Bis mein Körper und noch mehr mein Geist die Notbremse gezogen hat. Bevor es zu einem echten Burnout oder manifesten körperlichen Auswirkungen kommen konnte, bin ich unter anderem in die Klinik für Naturheilkunde Essen gegangen. Was man dort lernt? Nun eigentlich nicht viel anderes als das, über was ich an dieser Stelle schon lange blogge.
Aber wie kann es sein als Yogaschüler, selbst lehrender und ausgebildeter Entspannungslehrer, in die Stressfalle zu stürzen?
Es ist wie immer und bei jedem anderen, der Symptome von Überforderung oder gar Burnout oder Depression spürt. Eine Mischung aus inneren und äußeren Ansprüchen denen man irgendwann nicht mehr nachkommen kann. Ein Job, Familie, ehrenamtliche Tätigkeit in großem Umfang, eigene Kurse, Ausbildung und auch Hobbybetätigungen. Das sind randvolle Arbeitstage und fast 30 Wochenende im Jahr, die nicht der Erholung dienen sondern an denen ich Arzt-Patienten-Veranstaltungen, Verbandstreffen, Schulungen, Seminare und allgemeine Yogaveranstaltungen besuche oder selbst organisiere.
Die Geschichte mit dem Eu- und Distress ist out. Es gibt keinen guten Stress wenn er nicht aufhört und mit Entspannungsphasen abwechselt. Selbst der „beste“ Stress, die befriedigenste Arbeit, holt einen früher oder später ein, wenn man nicht in ausreichende Rekreation kommt. Natürlich braucht man das leidenschaftliche Feuer (im yogischen Begriff tapas) das antreibt und was wir so gerne Eustress nennen … und damit fahrlässig verharmlosen und als Ausrede benutzen weiter Raubbau am eigenen Körper und Geist zu treiben. Die innere Leidenschaft, die einen vorwärtstreibt Dinge zu tun, ist wesentlich. Gäbe es sie nicht, würde nichts passieren. Keine persönliche oder sonstige Entwicklung ist denkbar, gäbe es in uns nicht den Treib etwas zu tun. Aber ohne den Gegenpol, die ausreichende Entspannung, wirkt dieses Feuer verbrennend.
Die Yogasutren (2.1) formulieren es in der Übersetzung von Desikachar besonders treffend: Unsere Yogapraxis muss drei Qualitäten vereinigen: Klärung, Selbstreflexion und Akzeptanz unserer Grenzen. Wobei man Yogapraxis durchaus unverfälschend mit der ganzen Lebensführung gleich setzten kann.
Meine persönliche Falle war und ist teilweise auch immer noch, die eigene Praxis in Kurse auszulagern. Die Arbeit selber für den Prozess zu halten, der in die Ruhe führt. Die Meditation, die man für andere Menschen anleitet, für die eigene Meditation zu halten. Warum morgens nach dem Aufstehen in die Praxis des Übens gehen, wenn man abends eh einen Yogakurs hält? Das, was mich über die Jahre aus einer schwierigen gesundheitlichen Situation herausgeholfen hatte, führte mich genau so wieder hin in eine gesundheitliche (geistig wie körperlich) Grenzsituation hinein. Nicht weil der Weg falsch war, sondern eben unbewusst geworden war.
Der Klinikaufenthalt brachte neben einer deutlich stabileren körperlichen Gesundheit wieder ein Stück die eigene und ungeteilte Praxis zurück. Jetzt bringt die Beschäftigung mit der Qualifizierungsarbeit eine Nähe zur Theorie, die jedenfalls ich normalerweise nicht in dieser Intensität erreiche. Es sind genau die 1.000 Tonnen Theorie, die ich wohl brauche um die eigene Praxis wieder vollständig zurück zu gewinnen.
Ich erlebe im Moment die Kraft der eigenen Yogapraxis ganz neu. Sie verändert nicht die Anforderungen von außen, da liegt noch viel Arbeit vor mir. Aber sie hat mir geholfen – spät, aber gerade noch rechtzeitig – Schlimmeres zu verhüten. Ohne die Praxis in der Vergangenheit hätte ich vermutlich die Alarmzeichen erst erkannt, wenn es zu spät gewesen wäre. Und jetzt benötige ich die eigene Praxis, nicht wieder aus die Achtsamkeit gegenüber den eigenen Bedürfnissen herauszufallen.
Danke 🙂 … ich arbeite dran!
Ich gebe Dir vollkommen recht: Es gibt keinen positiven Stress, wenn er nicht ausgeglichen werden kann durch Entspannung, Abreaktion und durch Innehalten. Das habe ich auch erst viel zu spät kapiert.
Wünsche Dir weiterhin viel Erfolg!