Über die innere Unruhe und das freundliche Gesicht
Gestern war ich beim Arzt. Nichts ungewöhnliches, und jeder wird wohl die Situation im Wartezimmer kennen. Zusammen mit fremden Menschen, jeder ist mit sich selbst oder einer gut abgelagerten Zeitschrift beschäftigt oder – besonders beliebt in Hausarztpraxen wo sich die Menschen seit Jahren kennen – läßt im Gespräch mit den Nachbarn die Umgebung an den persönlichen Zipperlein und Katastrophen teilhaben. In „meiner“ Hausarztpraxis hat das alles oft sogar einen gewissen Unterhaltungswert und man trifft die halbe Nachbarschaft.
Gestern war es keine Routine, denn es war eine Facharztpraxis. Hier kennen sich die Menschen nicht und es geht nicht um die alltäglichen Befindlichkeitsstörungen. Die Diagnosen sind oft ernster und die Untersuchungsmethoden sind nicht angenehm. Menschen die hier sitzen stehen unter Spannung, warten auf Diagnosen die ihre Zukunft vielleicht sehr stark einschränken werden. Bei mir stand nur eine Routinekontrolle mit gut vorhersehbarem Ergebnis an, so dass ich selber nicht unter diesem inneren Druck litt.
Vielleicht war ich darum um so empfänglicher für die besondere Stimmung im Raum. Die Stimmung war so stark, dass ich die Bewusstseinsblase nicht üben konnte. Eigentlich eine Übung, die ich oft übe und die gerade besonders frisch im Gedächtnis ist, weil ich erst die Tage darüber geblogged hatte. In so einer Situation fällt es schwer, sich abzugrenzen von den tiefen Sorgen und echten Nöten der Menschen um einen herum. Darum war hier die Bewusstseinsblase nicht angebracht.
Der Beitrag von vorgestern über das Verinnerlichen bzw. das Abgrenzen durch Bewusstwerden wollte in dieser konkreten Situation noch einmal in der Praxis erprobt und erfahren werden.
Die innere Unruhe der Menschen in der Praxis war deutlich spürbar. Ich erinnerte mich an „das freundliche Gesicht„, schon seit vielen Monaten meine wichtigste Alltags-Übung. Also habe ich versucht in dieser unruhigen, ansteckend niedergeschlagenen Stimmung ein freundlichen Gesicht zu machen. Mein freundliches Gesicht hat vermutlich nicht die Sorgen und Nöte meiner Mitwartenden gemindert. Auch meine eigene Empfindlichkeit für diese spezielle Stimmung war immer noch da.
Aber für mich war das Hoffnungslose, die starke innere Spannung und Ängstlichkeit aus der Stimmung herausgenommen. Und obwohl es nicht zu großen Gesprächen kam hatte ich den Eindruck, dass sich nach dem einen oder anderen Blickkontakt, einer netten Verabschiedung und eines freundlichen „Gute Besserung“ nicht nur bei mir die Spannung etwas abbaute.
fotos: Claudia Hautumm, momosu, Martina Marten / pixelio.de