Rotwein und Meditation? Integrative Medizin? Ein Rundumschlag über Gewohnheiten?
Manchmal bin ich erstaunt, wie stark ich in meinen Gewohnheiten stecke. Die Frage: „Rotwein und Meditation?“ ist eine absolute. Mit einem benebelten Hirn kann man nicht meditieren, höchstens dahindämmern.
Will ich Rotwein trinken kann ich nicht meditieren, will ich meditieren, kann ich keinen Rotwein trinken. So! Damit ist dieser Beitrag am Ende? Oder sollte ich ein wenig über dieses harte Schicksal reflektieren, warum das Leben so grausam sein kann zwei mir liebe Gewohnheiten nicht verbinden zu können.
Nichts von dem. Es geht um Gewohnheiten. Liebgewordene, gute und schlechte, wichtige und überflüssige. Und um den Willen diese – nein, nicht zu ändern, das geht nicht, probiere es aus, wenn Du mir nicht glaubst – durch andere, neue, zu ersetzen die ich mir bewusst aussuche. Und natürlich auch um Medizin.
Gestern habe ich mit einer chronisch kranken Bekannten mit einem Morbus Crohn gesprochen, die zwei Wochen in einer Klinik war, die einen integrativen Ansatz vertritt. Medikamente und Behandlungsmethoden der konventionellen Medizin werden mit Ernährung, Naturheilkunde, Bewegung, Entspannung (Yoga 🙂 ) und auch psychotherapeutische Begleitung kombiniert. Der Ansatz ist klasse, ich liebe ihn (nicht nur, weil dabei auch Yoga vermittelt wird) und vertrete ihn auch. „Im Alltag leben“ ist nichts anderes als der Versuch diesen integrativen Ansatz praktisch umzusetzen.
Die Bekannte war hoch begeistert von diesem Konzept. Aber wie jetzt weiter? In zwei Wochen hat sie eine komplett andere Herangehensweise erlebt. Hat gesehen wie gut ihr bestimmte Dinge tun.
Sie erlebt im Alltag Stress pur. Ein anstrengender Job mit einer chronischen Erkrankung, private Probleme, die teilweise mit der Erkrankung zusammen hängen und eine Neigung viele Dinge zu problematisieren, an die andere Menschen nur wenige Gedanken verschwenden. Jetzt ist wieder dieser Alltag. Was bleibt von den neuen Dingen, die ausprobiert worden sind?
Die Ärzte haben ihr zu verstehen gegeben, wenn sie alles so weiterführt, wie sie es gelernt hat, dann kann sie ihre starken Medikamente absetzen. Ja, es kam sogar so etwas wie „Schuld“ in den Gesprächen vor. „Jetzt wissen sie, wie Sie Heilung bekommen können. Also machen Sie mal.“ Heißt nichts anderes: „Wenn Sie nicht alles so tun, wie es hier gemacht wird, dann sind Sie selbst schuld, wenn sie weiterhin krank sind!“ Die Machbarkeit im Alltag war kein Thema .
Ich bin davon überzeugt: Der integrative Ansatz hilft bei der Bewältigung von Krankheit enorm. Konsequent durchgezogen bringt er Heilung. Aber der Intensivkurs schafft eines nur in den seltensten Fällen. Ein komplettes Umkrempeln des System unserer Gewohnheiten, so wie es die Ärzte fordern. Das gute System ist krank, weil es keine echte Hilfe anbietet, wie es dauerhaft ins normalen Leben integriert werden kann.
Es ist wie mein Rotwein / Meditations – Problem. Es ist nicht lösbar. Man kann nicht sein völlig ’normales‘ Leben mit 12 bis 14 Stunden Arbeit weiterführen weil der Job so ist und gleichzeitig täglich eine Stunde walken, auf selbst gekochtes „gesundes“ Essen umstellen, ausreichend schlafen und Zeit finden für die tägliche Yogapraxis. Es scheint als gehen die Dinge nicht zusammen. Tun sie auch nicht. Das gesamte Programm des medizinischen Ansatzes kann man nicht innerhalb von wenigen Tagen ins ’normale‘ Leben integrieren.
Und das ist der Knackpunkt. Wie schafft man es alte, hinderliche Gewohnheiten hinter sich zu lassen und sich neuen, besseren, zuzuwenden?
Die guten Erfahrungen in der Klinik, in einem Seminar, bei einem Besuch in einem Kloster oder ashram sind wichtig, aber sie finden nicht im Alltag statt. Wenn wir etwas ändern wollen, langfristig und nachhaltig, dann muss das auch im täglichen Leben stattfinden. Einige Menschen machen es sich einfach. Sie gehen ins Kloster. Wirklich oder im übertragenen Sinne. Alle Bindungen hinter sich lassen, ganz neu beginnen. Der scheinbar einfachste Weg, der aber auch oft genug scheitert.
Für die Frage, wie man Änderungen in den Alltag bringt, haben die Klöster, ashrams, die Lehrer, Coaches, Ärzte und gurus oft Antworten. In der Praxis sind sie noch öfter nicht brauchbar, weil sie im Alltag nicht lebbar sind. Die Antworten können nur individuell sein. Sie müssen zu meinem Leben, meinen Fähigkeiten, meinen Bedürfnissen und meinem Umfeld passen. Das Leben ist keine Yogaübungsreihe, wie sie im Moment immer mehr in Mode kommen. Eine Reihe für ein Problem. Scheinbar praktisch, zum Erfolg verdonnert, weil jeder die simple Lösung vorzieht und nach dem umfassenden Versprechen greift. Und genau darum werden diese Patentlösungen am Ende keinen Erfolg in der Fläche haben. Weil sie nicht die individuelle Situation berücksichtigen.
Einzelberichte werden kommen und die simple Lösung loben, weil es zufällig passte. Wie bei den Frühjahrsdiäten in den Zeitschriften. Und im nächsten Jahr werden die selben Diäten wieder zum Verkaufshit an meistens die selben Menschen.
Beim Rotwein und Meditation sind wir nach diesem Rundumgeschimpfe immer noch nicht weiter, oder? Doch, ich glaube wir sind etwas weiter gekommen. Zusammen geht es nämlich nicht. Ich muss mich entscheiden. Zu versuchen diese Dinge zusammen zu bekommen gehen nicht. Das scheint profan zu sein. Ist es aber nicht. Es geht darum zu erkennen, was ich jetzt, in diesem Augenblick tun kann. In einer bewussten Entscheidung.
Die Ärzte haben meiner Bekannten einen nicht erfüllbaren Auftrag gegeben. Der wunderbare Weg der integrativen Medizin funktioniert nicht, wenn man ihn im Alles oder Nichts – Verfahren umsetzten will. Jetzt muss entschieden werden, was im Alltag umsetztbar ist. Schritt für Schritt. Veränderungen können nur eine nach der anderen verwirklicht werden. Und es muss ein Gefühl dafür entwickelt werden, dass jetzt im Moment machbar und sinnvoll ist. Und ich wünsche jedem einen Begleiter, der dabei hilft.
Rotwein und Meditation? Das werde ich in Zukunft nach den Grundsätzen des Zen halten. Trinke ich Rotwein, trinke ich Rotwein. Meditiere ich, versuche ich zu meditieren. Sonst nichts!
fotos: S. Hofschlaeger, RainerSturm / pixelio.de; Sabine Leikep / Fotolia.com; boing / photocase.de
Es gibt ein Zentraining, wo man viel Alkohol trinkt und versucht meditativ klar und nüchtern zu bleiben, also seinen Bewusstsein konzentriert.
Darin soll es richtige Meister geben.
Bin zum erstenmal hier und eigentlich noch ein „Blog-Frischling“ Aber die Frage Rotwein und Meditation fand ich schon mal spannend.
Als passionierter Rotweintrinker habe ich beides gleichzeitg noch nie probiert. Wäre eigentlich ganz reizvoll. Ein benebeltes Hirn beim Weintrinken kann ich mir aber eigentlich nur bei einem „Zuviel“ des köstlichen Getränkes vorstellen..Das hat wohl auch nichts damit zu tun, dass ich fast nur biologische Weine trinke.
Prost
Hanspeter
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Ja, liebe Apsara, ein Blog finden ist für Nichtteilnehmer an der Bloggerwelt oft nicht ganz einfach. Wer nicht im Gewirr von Feeds, spezialisierten Suchmaschinen und ähnlichen Techniken ‚drinne‘ ist, findet Beiträge nur per Zufall über Suchmaschinen oder auch andere Seiten. Aber es finden doch jeden Tag einige Menschen hierher und erstaunlich viele bleiben einige Minuten und lesen. Das finde ich immer wieder erfreulich.
@ Dori … Du bist tatsächlich an einem Kernproblem ’spirituellen‘ Lebens. Wie geht es mit dem Rest von eigenen und an einen herangetragenen Ansprüchen zusammen? Es braucht einfach Zeit, in jeder Beziehung. Entscheidend ist nicht wie viel und auch nicht in erster Line „WAS“ man für sich tut, sondern es muss das Richtige sein. Und das ist keine konstante Größe und will immer wieder neu hinterfragt sein.
Viele Grüße
Bernd
Vielen Dank das du Gedanken, Beobachtungen und den daraus wachsen Gedanken mit einer Gruppe leser teilst. Vorausgesetzt man findet dein Blogg – ich habe es jetzt gefunen und komme bestimmt wieder, dafür sorgt schon der aufgeschriebene Link, etwas altmodsich, aber so finde ich es bestimmt wieder.
Danke!
Lieber Bernd,
Rotwein und Meditation gleichzeit geht wirklich nicht 🙂
Zentao schlägt vor, morgens zu meditieren, aber das ist nicht meine Zeit. Im vorigen Jahr selbst ernsthaft erkrankt und für längere Zeit nicht im Arbeitsleben, hatte ich einen tollen Rhythmus für mich und mein Leben gefunden. Ich kann am besten nachmittags meditieren. Aber mach das mal, wenn Du 40 Stunden die Woche arbeitest. All die Dinge, die mir gut tun, in meinen derzeitigen Alltag zu intergrieren, fällt mir sehr schwer. Aber ich arbeite daran, etwas weniger zu arbeiten, und mehr Zeit für mich zu haben. Das ist mir inzwischen wichtiger als alles Andere.
Sonnige Grüße
Dori
Lieber Bernd
Meditiere am Morgen, dann kannst Du zum Mittagessen ein Glas Rot wein Trinken. Es heisst nicht entweder oder, sondern, es ist so wie es ist und ich muss immer bereit sein die Konsequenzen die meine Handlungen haben auch zu tragen. Du versuchst nicht zu meditieren, sondern Du tust es. So ich muss los, ins Zazen.
Liebe Grüsse zentao