Alte Geschichten neu angesehen – Die blinden Weisen und der Elefant

„Was ist ein Elefant?“ Der König weiß es nicht. Und wie es bei Königs üblich ist, geht er nicht selber hinaus zu schauen, was ein Elefant ist. Er schickt seine fünf weisen Berater um es für ihn herauszufinden. So lassen sich die Weisen hinaus führen – denn sie sind alle blind – und zu einem Elefanten bringen. 
 
Und als sie zum König zurückkommen berichtet jeder der fünf Weisen dem König.
 
Der erste Weise berichtet dem König: „Ein Elefant ist wie ein langer Arm.“ Er hatte am Rüssel des Elefanten gestanden und ihn ertastet.

Elefant von hinten

foto: Gin_Chilla / flickr.com

 
Der zweite Weise weiß: „Nein, ein Elefant ist wie ein großer Fächer.“ Er hatte am Ohr des Elefanten gestanden.
 
„Ich finde, ein Elefant ist wie eine große Säule“, berichtet der dritte Weise. Er hatte am Bein des Elefanten gestanden.
 
Der vierte Weise hatte am Schwanz des Elefanten gestanden. „Der Elefant ist wie eine kleine Strippe mit Haaren am Ende“, wirft er in die Runde.
 
Und der fünfte Weise beschreibt den Elefanten so: „Ich sage, ein Elefant ist eine große runde Masse mit einer dicken, faltigen Haut mit wenigen borstigen Haaren darauf.“ Er hatte am Bauch des Tieres gestanden.
 
Die fünf Weisen erkennen, dass jeder ein anderes Bild vom Elefanten vermitteln und fürchten sich davor, was der König jetzt denken mag.
 
Der König lächelt aber weise: „Ich denke, ich kann jetzt erkennen, was ein Elefant ist. Ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist. Der Ohren wie große Fächer hat, Beine wie starke Säulen, einem kleinen Schwanz mit einer Haarborste am Ende und einem Großen, runden Körper mit einer dicken, Haut mit wenigen Borsten.“

… und hier kommt beim normalen Erzählen der Geschichte die Erkenntnis, dass die Weisen beschämt sind, weil jeder von ihnen nur einen Teil erkannt hatte und sich mit diesem Teil zufrieden gegeben hat, statt weiter zu tasten um alles zu erkennen.

Ich habe diese Geschichte in dieser Woche im Yogaunterricht erzählt. Und mein Schluss der Geschichte geht anders. Denn die Weisen erkennen, dass sie in ihrer eigenen Beschränktheit immer nur einen Teil erkennen können. Das ergibt sich aus ihrer eigenen Blindheit – sie werden nie alles Aspekte des Elefanten erfassen können. Sie lernen, dass sie den König benötigen um ihre Erkenntnis zusammen zu setzen und ein Ganzes daraus zumachen.

Bei mir geht es in der Geschichte um das Vertrauen darauf, dass – wenn wir in der Prasada Yogapraxis an einer Stelle etwas üben, sei es ein Asana, eine meditative Übung oder was auch immer – wir immer nur einen Teil dessen erfassen können, was da gerade passiert. Unsere eigene Achtsamkeit, mit der wir unsere eigenen Praxis begleiten, kann nie alles wahrnehmen. Und wir sind weise und gut beraten, darauf zu vertrauen, dass unsere Praxis zu etwas Gutem führt. In der körperlichen Praxis ist es oft der Körper, der die Rolle des Königs bekommt und meine Erfahrungen, meine Praxis zu einem Ganzen zusammensetzt, vielleicht beweglicher und gesünder wird.

Sich bewusst sein, dass man nie alles erfasst, nie alles können(!) muss und darauf vertrauen, dass sich alles gut zusammen setzt. Das ist eine Grundhaltung, die ich mir für die Praxis im Prasada Yoga wünsche.

Und auch wenn die Berater des Königs blind sind, so werden sie als Weise bezeichnet. Das nehme ich als Idee dafür, dass sie nicht naiv sind. Denn auch das größte Grundvertrauen darin, dass sich die Dinge gut zusammensetzen, darf nicht dazu verleiten etwa in der körperlichen Praxis zu schlampen und Dinge zu tun, die nicht gut tun oder zu Verletzungen führen.

One reply on “Alte Geschichten neu angesehen – Die blinden Weisen und der Elefant”

  1. Dorothee on

    Ich mag solche Geschichten! Erstens macht das Zuhören beim Erzählen immer Spaß und zweitens kann man dann immer so schön darüber Diskutieren und Nachdenken. Das finde ich total wichtig! Danke fürs Weitererzäjlen. 🙂

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